Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGer): Vertrauensschutzprinzip

MWST-Aktuell N° 113 / Oktober 2025

Der Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV) verleiht der rechtssuchenden Person unter gewissen Umständen Anspruch auf Schutz ihres Vertrauens auf die Richtigkeit behördlichen Handelns. Dieser Anspruch hindert die Behörden, von ihrem früheren Handeln abzuweichen, auch wenn sie dieses zu einem späteren Zeitpunkt als unrichtig erkennen. Potenzielle Vertrauensgrundlage sind dabei allein jene behördlichen Handlungen, die sich auf eine konkrete, die rechtssuchende Person berührende Angelegenheit beziehen und von einer Behörde ausgehen, die für die betreffende Handlung zuständig ist oder die die rechtssuchende Person aus zureichenden Gründen für zuständig hält.

Individuelle Auskünfte und Zusicherungen sind demnach typische Beispiele für Verwaltungsakte, die bei den Rechtsunterworfenen Vertrauen wecken können. Das Vertrauen ist allerdings nur schutzwürdig, wenn die rechtssuchende Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne Weiteres erkennen konnte und sie im Vertrauen auf die Auskunft Dispositionen getroffen hat, die sie nicht ohne Nachteil rückgängig machen kann. Der Anspruch auf Vertrauensschutz entfällt, wenn die gesetzliche Ordnung zwischen dem Zeitpunkt der Auskunft und der Verwirklichung des Sachverhalts geändert hat.

Im vorliegenden Fall ist das BGer der Ansicht, dass keine Vertrauensgrundlage besteht. Die Verwaltungsverordnungen der ESTV, d. h. die in den MWST-Infos enthaltenen Weisungen der ESTV, können nicht als individuell-konkrete Zusicherungerblickt werden soweit diese überhaupt im Sinne zu verstehen wären, den ihnen die Steuerpflichtige beimisst. Überdies sind keine Dispositionen erkennbar, welche die Steuerpflichtige getroffen haben will und die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden könnten (Urteil des BGer vom 4. August 2025, ref. 9C_671/2024, Erw. 4.2).

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